Mirna Funk: Gebt uns, was uns zusteht!

Mirna Funk ist eine in Berlin lebende Autorin. Sie hat im Rahmen unser Gruppenausstellung bitchMATERial einen Artikel geschrieben, der neben anderen Artikeln und Arbeiten der teilnehmenden  Künstler*innen auch in unserem Kunstbuch bitch MATERial – Mutter.schafft.neu.denken. abgedruckt ist. Das Kunstbuch  ist in unserem Online Shop erhältlich.

Als ich vor zwei Monaten den Vertrag zu meinem neuen Job unterschrieb, machte ich mir einen Spaß, googelte im Internet „Brutto-Netto-Rechner“ und guckte, was ich am Ende des Monats in den unterschiedlichen Steuerklassen raushaben würde. Ich gab alle sechs Steuerklassen nacheinander ein. Als alleinerziehende Mutter ist man Steuerklasse 2 und hat sage und schreibe 60 Euro mehr als der Single ohne Kinder in Steuerklasse 1. Ist man, aber verheiratet und der Hauptverdiener der Familie bekommt man 700 Euro mehr am Ende des Monats als der kinderlose Single.
700 Euro mehr in Steuerklasse 3. Und dabei hat man beim Ehegattensplitting ja noch den Zweitverdiener, der nicht so viel, aber immerhin etwas verdient. Ich bin aber alleine und habe keinen Zweitverdiener. Ich bekomme ja nicht einmal Kindesunterhalt, weil der Vater meiner Tochter leider der größte Loser des Jahrtausends ist.

Das Kinderbuch „Wo ist Papa“ wurde von Mirna Funk geschrieben, und Maayan Sophia Weisstub illustriert. Im Mittelpunkt stehen 12 Familien abseits von hetereo – normativen Familienstrukturen. Seit dieser Woche kann man das Buch nun auch in unserem Online Shop bestellen.

Ich arbeite sehr gerne, sehr hart und sehr viel. Ich habe ein außergewöhnlich hohes Jahresbruttoeinkommen. Wirklich. Und damit bin ich eine privilegierte Alleinerziehende. Ich kann meine Tochter in eine Privat-Kita schicken, weil ich genug verdiene und ich kaufe ihr in der fancy schmancy Ackerhalle in Mitte immer die vorgeschnittenen Erdbeeren, obwohl sie das Doppelte kosten.

Als Hauptverdiener der Familie übernehme ich alle anfallenden Kosten zu 100%: die Miete, das Telefon, den Strom, das Gas, das Auto, die Benzinkosten, den Babysitter, die Kita, Ettas Klamotten und unser Essen. Und trotzdem kriege ich gerade einmal 60!!! Euro mehr als ein Single ohne Kinder und 640 Euro weniger als der Hauptverdiener einer Familie, der sich, im Gegensatz zu mir, alle eben genannten Unkosten mit seinem Zweitverdiener teilen kann.
So wie es mir geht, geht es Millionen Frauen in diesem Land. 60% aller alleinerziehenden Mütter bekommen keinen Unterhalt und leben von popeligen 60 Euro mehr im Monat, obwohl sie eine größere Wohnung brauchen und dazu alleine ein Kind versorgen müssen. Halt! Den meisten dieser vielen Millionen Frauen geht es eigentlich viel beschissener als mir. Die können sich keine Privat-Kita und auch keine vorgeschnittenen Erdbeeren leisten.

bitch MATERial – Behind The Bitch: Mirna Funk from POISON Berlin on Vimeo.

Das Mindeste, das wirklich Allermindeste wäre, wenn wir endlich bekämen, was uns als Hauptverdiener einer Familie zusteht, nämlich eine Steuererleichterung, wie sie die Hauptverdiener beim Ehegattensplitting bekommen. Richtig gerecht würde es aber erst werden, wenn wir noch mehr bekämen, einfach, weil es keinen Zweitverdiener gibt, einfach, weil wir mit allem alleine sind. Weil da niemand, die Wäsche für uns wäscht, die Spülmaschine ausräumt, die Einkäufe erledigt und das Kind von der Kita abholt, wenn wir wieder länger im Büro bleiben müssen.

 

BILDER: (1) Buchcover: „Wo ist Papa“, ©Maayan Sophia Weisstub

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