INTERVIEW: Kirsten Becken über Seeing Her Ghosts

Sie ist eine erfolgreiche Fotografin, immerzu unterwegs und auf der Suche nach neuen Herausforderungen und wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt, dann nimmt sie die Veränderung selbst in die Hand. Und so stemmte Kirsten Becken ihr erstes Kunstbuch ganz alleine. Es handelt von der Schizophrenie Erkrankung ihrer Mutter und von vielem mehr, dass sich daraus ergab.  Kirsten Becken organisierte zudem eine Ausstellung, die einige der abgebildeten Exponate zeigt.

Wie entstand die Idee zu Seeing her Ghosts?

Ich hatte schon immer eine gewisse Neugier und habe Dinge in Frage gestellt. Aus dieser Offenheit entstand auch mein Bedürfnis ein Buch über das Rätsel der Krankheit meiner Mutter zu entwickeln. Verstärkt wurde es durch ihre Aquarelle, die während ihrer einzigen und heftigen Psychose um 2000 entstanden. Mein Vater sammelte sie in einer Mappe und wir blätterten sie an Weihnachten zusammen durch. Mir wurde schnell klar, dass etwas daraus entstehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war Tom noch nicht ein Jahr alt und ich habe mich durch das neue Muttersein auf eine andere Weise geöffnet und den Blick noch intensiver auf das Muttersein meiner Mutter gerichtet.

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Inwiefern hat die Krankheit deiner Mutter deine Kindheit speziell gemacht?

Heute würde ich die Krankheit meiner Mutter als Geschenk beschreiben, vor einigen Jahren war es alles andere als das. Ich habe intuitiv gespürt was passiert, wenn Erlebnisse unterdrückt oder verschwiegen werden und wie es ist darunter zu leiden. Vielleicht bin ich auch deshalb zu einer „Macherin“ geworden, die Konfrontation und Ehrlichkeit sucht. Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich an meine warmherzige Mutter – reglementiert und gemobbt durch eine damals mit „Disziplin“ konnotierte Härte und Gefühlskälte der eigenen Eltern, bei denen ich zeitweise lebte. Ich habe heute verstanden, wieso sie schon als Kind viel fotografiert hat und mir zur Einschulung eine Fotocamera schenkte.

Hat sich das Verhältnis zwischen dir und deiner Mutter durch das gemeinsame Projekt verändert?

Unser Verhältnis hat sich nicht verändert, es ist nur noch inniger geworden, falls das überhaupt geht. Ich denke, dass uns das Projekt glücklicher gemacht hat, obwohl es anstrengend war und Schmerzhaftes ans Licht gebracht hat. Nach vielen Jahrzehnten, die hauptsächlich durch Medikamentenpläne bestimmt waren, kamen endlich die eigentlichen Beweggründe auf den Tisch – also ein wirklich therapeuthisches Buch für uns beide.

Das Buch eröffnet eine große Bandbreite in Sachen psychische Krankheiten. Denkst Du, dass es hier noch immer an öffentlicher Auseinandersetzung mangelt?

Es mangelt an öffentlicher Auseinandersetzung, es mangelt an der Auseinandersetzung innerhalb der Familien, im sozialen Umfeld und in der Schule. Seelische Krisen, Depressionen, Probleme – all das ist allgegenwertig und der menschliche Geist ist in meinen Augen das edelste Gut. Wenn es da weh tut, sollte diesen seelischen Schmerzen eine respektvolle Wahrnehmung begegnen. Deutschland ist noch immer sehr gefangen in klassischem Fassadendenken und schnell peinlich berührt. Natürlich steckt auch Trauma in den Knochen und wandert von Generation zu Generation. Also ja: es wäre schön, wenn es in 2017 eine aufgeklärtere und angstfreiere Auseinandersetzung auch gegenüber der neuen therapeutischen Wegen gäbe.

In diesem Buch, werden Deine Arbeiten durch die anderer Künstler ergänzt. Wie hast Du diese teilweise sehr bekannten und renommierten Leute gewinnen können?

Ich bin gerne mutig und probiere aus. Ich frage einfach.

Du hast das Buch zunächst durch Crowdfunding finnaziert. Ist das eine Vorgehensweise, die Du empfehlen kannst?

Crowdfunding empfehle ich gerade bei gesellschaftsrelevanten Themen und denke, dass es im Selfpublish Bereich auch gut eingesetzt werden kann. Verlage nehmen sich nicht sofort Konzepten an, seien sie noch so kritisch, zeitaktuell oder gestützt durch renommierte Künstler. Da sollte man schon selbst aktiv werden, wenn einem die Sache wichtig ist.

Schließlich wurde das Buch nun doch von einem Verlag verlegt, wie kam es dazu?

Durch eine Empfehlung bin ich auf den Verlag VfmK gestoßen und es hat sofort Klick gemacht.

Was bedeutet dieses Buch für Dich persönlich?

Das Buch ist wie ein Meilenstein. Ich schaue es mir gerne immer wieder an.

 

An welchem Projekt arbeitest Du aktuell?

Ich arbeite an zwei Fotostrecken, die ich als Langzeitkonzepte während der Buchphase auf Eis legen musste und sammle Material für ein erstes Fotobuch. Vielleicht gibt es für Seeing Her Ghosts auch eine Fortsetzung auf Rundfunk-Ebene. Da kann ich aber noch nicht viel verraten.

 

Heute Abend findet die Finissage zur Ausstellung statt. Es wird gelesen.

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