Wir sitzen im Bus und die Klimaanlage versucht die kalte Brise des vor uns liegenden Meeres zu imitieren. Es bietet sich ein Bild, dass man schöner hätte nicht malen können, denn der Bus fährt entlang der Klippen und es sieht fast so aus, als würde er uns – von den Wellen getragen – näher Richtung Ziel bringen. Kreta begrüßt uns mit einem ebenso blauen Himmel und wir befinden uns auf unserer Reise vom Norden in den Süden der Insel. Alleine die Fahrt macht den viel zu frühen Flug wieder gut, denn nicht nur die unglaublich vielen Blautöne lösen kindliche Euphorie bei uns aus, sondern auch die hohen rotbräunlichen Felsmauern und Klippen, an denen die Gischt unbeeindruckt abprallt, um sich sanft in das Wellenbett zurückfallen zu lassen.
Nach drei Stunden und drei verschiedenen Bussen finden wir uns in den Armen von Penelopi wieder, die mit ihrem Mann in dem kleinen Ort Koutsounari drei kleine Apartments vermietet, um ihrem Sohn das Studium zu ermöglichen. Sie begrüßt uns mit großmütterlicher Herzlichkeit, die allerdings im Gegensatz zu ihrem jugendhaften Gesamtbild steht, dass vor Lebensfreude und Leichtigkeit nur so strahlt. Jeden Morgen steht sie so vor uns, in ihrem weißen Negligé und ihrem türkisen Bademantel, den sie nach eigenen Angaben schon seit über 20 Jahren besitzt. Den einen Tag finden wir auf unserem Esstisch auf der Terrasse frisch geschnittene Wassermelone, den anderen Tag steht Penelopi stolz vor uns, und erklärt, dass sie die Teigtaschen, deren köstlicher Duft uns direkt in die Nase steigt, selber gemacht hat, mit Gemüse, welches sie am vorherigen Tag beim Wandern in den Bergen fand. Selten wird man mit so einer ehrlichen Gastfreundlichkeit empfangen, die einem nicht gespielt vorkommt. Das Ferien-bei-den-Großeltern-Gefühl findet seinen Höhepunkt, als sich ein kleiner Hund zwischen Penelopis Beinen seinen Weg bahnt um an uns hochzuspringen. „Sakalis will bring you to the Beach“, eröffnet sie uns und so finden wir uns einige Minuten später am Long Beach wieder. Wer Massen und aneinander gereihte (und meist schon mit Badehandtuch reservierte) Liegestühle gerne meidet, findet hier seinen inneren Frieden. Der Long Beach wirkt vor allem jetzt in der Nebensaison wie eine Parallelwelt. Vor einem das Wasser, welches sich vor unseren Augen in einem erneut mir nicht bekannten blau Ton ergießt, während sich hinter uns die Berge auftürmen und jede graue Wolke daran hindern zu uns rüberzuziehen. Und so finden wir uns zu zweit wieder, unter unserem eigenen Sonnenschirm (natürlich bereitgestellt von Penelopi), spühren die Wärme des schwarzen Sandes unter unserer müden Haut, die langsam wieder zum Leben erwacht und blinzeln in die Abendsonne während ich endlich anfange das Buch zu lesen, welches mich seit Weihnachten enttäuscht von meinem Nachtisch aus angeblickt hat.
Koutsounari gibt uns in den darauffolgenden Tagen genau das, was wir brauchen: Ruhe, Sonne und gutes Essen. Es ist kein Ort an dem man große Action erwarten darf, viel mehr ein Ort, an dem man sich ohne schlechtes Gewissen zurückziehen kann, und sich jeglicher Hektik zu entziehen. Die Zeit, die dann noch übrig bleibt investiert man am besten darin, sich von Taverne zu Taverne zu schleppen und sich quer durch die frische Fischkarte zu essen. Dabei sind die meisten Tavernen eigentlich nie voll besetzt. Auch wenn Koutsounari ruhig und verlassen scheint, hinter den großen weißen Mauern, und pompösen Eingangshallen versteckt sich der ein oder andere Pauschaltourist, der es aber, so erweckt es den Anschein, selten bis nie aus der Schlange vor dem Buffet schafft. Unser Glück, denn so sitzen wir bei Dimitri in seiner Taverna Psarapoula. Weißer Dielenboden, weiße Tische mit tiefblauen Tischdecken, griechische Volksmusik, die leise aus dem Lautsprecher auf uns herab rieselt. Das Bild wird abgerundet von den drei Pärchen, welche verteilt an den Tischen um uns herum sitzen, allesamt in blau oder weiß gekleidet, ein bisschen Klischee muss sein. Wir beide sehen mit unseren roten Kleidern so aus, als hätten wir die Ausfahrt Richtung Toskana verpasst, dennoch müssen auch wir am Ende unserer Zeit feststellen, dass sich weißes Leinen einfach super mit der von griechischen Sonnen geküssten Haut machen. Die Magolé sind die besten Spagetti mit Meeresfrüchten, an denen sich unser Gaumen bis dato erfreuen durfte, und werden einzig und allein von den Auberginen getoppt, welche mit karamellisierten Zwiebeln, Feta und getrockneten Tomaten serviert werden. Selbst als Student kann man sich hier einen Hauch von Luxus leisten, ohne die nächsten Semestergebühren fürchten zu müssen. Das alles lässt sich noch besser auf der Zunge zergehen, wenn man auf einen Himmel blickt der sich aller erdenklichen Pastelltönen bedient.
Wer der Abgeschiedenheit Koutsounaris entgehen will setzt sich ins Auto oder den Bus und fährt 20 Minuten weiter in die kleine Hafenstadt Irepetra. Dort wandern wir am Samstag auf dem Wochenmarkt von Obst Stand zu Obst Stand. Unsere zahn Orangen werden nach dem Bezahlen von dem Verkäufer einfach verdoppelt und letztendlich fliehen wir vor der Mittagshitze in ein Eckcafé direkt am Eingang des Marktes. Hinter uns wird auf Griechisch hitzig diskutiert, neben uns pflegen die Dauer-Kreta-Urlauber ihren Smalltalk, um uns herum fliegt hektisch die Bedienung von den Tischen zur Küche, um nebenbei noch mit lautem Pfeifen den Straßenverkehr zu regeln. Wir sitzen zu zweit da und bestaunen das Schattenspiel auf unserem Tisch, bevor genau dort vier verschiedene griechische Tapas Platz nehmen.
Dem Massentourismus geben wir genau eine Chance, denn laut Penelopi ist die Nachbar Insel Chrissi Island ein Muss. Tatsächlich stellen wir später fest, dass viele Urlauber*nnen quer über die Insel fahren und weite Wege auf sich nehmen, um vom Irepetra aus eine Stunde mit der Fähre nach Chrissi Island zu kommen. Penelopi handelt für uns mit einem Freund noch den besten Preis aus und so sitzen wir auf Holzbänken oben am Deck der Fähre, dieses Mal mit griechischer Volksmusik, die eher auf uns herunter donnert, anstatt uns leichtfüßig in Urlaubsstimmung zu bringen. Man kann nich alles haben. Da wir die erste Fähre nahmen, sind wir auch die ersten die den sandigen Boden der Insel betreten. Unseren eigen Pfad brauchen wir jedoch nicht mehr breit zu trampeln, stattdessen folgen wir den Luftmatratzen, Sonnenschirmen und mindestens 30 schreienden Kindern Richtung „Golden Beach“. Für mich unerklärlich, lassen sich hier die meisten alle auf einem Fleck eng nebeneinander nieder, oder natürlich auch hier auf der Sonnenliege die zum Touristenpreis angeboten werden. Unsere Augen jedoch bleiben an den vielen schattigen Baumplätzen hängen und so bauen wir genau dort unter 1000 Ästen des Baumes unser Lager auf. Selbst die Drohnen anderer Urlauber, welche ungefragt mindestens zwei Stunden ihre Bahnen über die Insel ziehen, können diesem unglaublichen Anblick nichts anhaben. Und wem es dann noch gelingt, um die vielen Selfiesticks im Wasser Parcours zu schwimmen ohne sich oder die Schnappschusshunter zu stören, der kann das, was sich vor dem Auge da abspielt ungestört genießen und alles andere einfach ausblenden. Denn egal wie touristisch das ganze sein mag, für diesen atemberaubenden Anblick lohnt es sich!
Wir sitzen im Bus, die Klimaanlage umhüllt uns dieses Mal mit einer unglaublichen Kälte, die nur so vor Melancholie trieft. Gegen die Fensterscheiben des Busses peitschen aggressiv die Regentropfen. Wir fahren zurück und genau an unsere Abreise Tag hat Kreta beschlossen den grauen Wolken Taten folgen zu lassen. Wir betrachten das Spektakel mit ein wenig Wehmut und gleichzeitig mit einer unglaublichen Gelassenheit, denn genau das ist was Griechenland mit uns die letzten fünf Tage gemacht hat. Es hat uns wieder ein bisschen bei uns selbst ankommen lassen, uns ausgerüstet mit neuer Energie und Motivation, damit wir uns gestärkt wieder in den Großstadtdschungel stürzen können.