INTERVIEW: Christoph Gröner über das Filmfest München

Heute Abend wird in München feierlich das Filmfest eröffnet und wir haben die Gelegenheit genutzt um uns mit Christoph Gröner, dem Programmer der Reihe Neues Deutsches Kino über Filme, Politik und ästhetische Notwendigkeiten zu unterhalten. Christoph Gröner arbeitet seit 2004 beim Filmfest und zeichnet seit 2012 verantwortlich für seine Reihe. Außerdem berät er das Zürich Film Festival und programmiert beim Tallinn Black Nights Filmfestival. Ein Leben für und um den Film, das ihn jedes Jahr nach Cannes, zur Berlinale, nach Toronto zum TIFF und zu vielen anderen Festivals und vor allem in unzählige Kinos bringt. Dabei hat sich der studierte Kulturjournalist schon immer als Festivalmacher gesehen, statt als Kritiker, weil ihm das Miteinander mehr liegt als das Gegeneinander und weil er Filme gerne begleitet, wenn sie geboren werden und in die Welt kommen.

Was muss ein Film haben, um von Dir programmiert zu werden?
Ich glaube jeder Film entwickelt aus sich selbst heraus Kriterien und ich will zuerst sehen, dass der Film seine eigenen Kriterien erfüllt. Die nächste Frage ist: Kann über den Film diskutiert und gestritten werden. Sind da widersprüchliche Meinungen? Der Film muss aus einer allzu sicheren Mitte heraustreten. Mein Anspruch an die Reihe ist, dass sie unerwartet und neu sein soll. Das Prinzip der Überraschung ist da konstitutiv. Ich möchte eine möglichst große Spannbreite abbilden. Wir wollen ein Mosaikstein sein, um ein Publikum für den deutschen Film zu bauen, deshalb wollen wir die breite Zuschauererfahrung. Wer nur hardcore Experimentalfilme mag und sich dann bei uns auch mal auf einen kommerziellen Film einlässt, kann sehen, wie spannend deutscher Film sein kann.

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Wie kreierst Du die richtige Mischung aus großen und kleinen Filmen, aus Relevanz und Unterhaltung? Gibst Du Dir da selbst Regeln?
Problemfilme definieren erst das Problem, statt Abenteuer zu sein. Volkserzieherische Filme will in Wirklichkeit aber keiner sehen. Ich suche die ästhetische Unbedingtheit. Und dann kann da auch noch ein Thema sein. Von 200 neuen Filmen pro Jahr sind 10-20 % filmkünstlerisch interessant. Ich würde mir da bei der Auswahl nie starre Regeln setzen, weil es dann den Überraschungseffekt verlieren würde. Dennoch entwickle ich im Herbst ein Konzept anhand der ersten Produktionsliste. Es ist aber noch nie passiert, dass dieses Konzept nicht über den Haufen geworfen wurde. (lacht) Und dann muss man machmal schneller sein oder Filme woanders rauslösen. Manchmal lade ich auch zu viele Filme ein, dann puzzle ich, frage mich wie wird das zusammen interessant? Wo ist der Widerspruch? Welche drei Filme ergeben zusammen ein Thema? Ich suche auch Grenzgänger zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm. Es geht mir wirklich, wirklich um den Film. Ein Panorama aller Alter und Spielarten, wo Debüts und arrivierte Filme nebeneinander stehen. Die Reihe will kein Biotop für den jungen Film sein. Schutzräume gibt es woanders. Da gibt es andere Festivals, die da tolle Arbeit machen. Filme müssen ein gewisses Unwetter aushalten können, um bei uns zu laufen.

Ich empfinde die Auswahl dieses Jahr als ziemlich politisch. Filme wie Wackersdorf, Familie Brasch, Ende Neu oder Mackie Messer greifen große Themen voller gesellschaftlicher Relevanz auf. Muss das Kino wieder politischer werden?
Der Film wird wieder politischer. Wir sehen das dieses Jahr schon. Die Zeit braucht so viel Brecht, wie schon lange nicht mehr. Vor 5 Jahren dachte man noch: man muss nicht kämpfen für die Freiheiten, die wir leben. Aber wir brauchen Argumente für den offenen Lebensstil. Leben und leben lassen, wie man in Bayern sagt. Das dürfen wir uns nicht wegnehmen lassen. Ich habe nicht die Hoffnung, dass sich das von selbst regelt. Wie demonstriert man, wie bildet sich politscher Wille? Da können diese Filme eine Handreichung sein, eine Einladung selbst aktiv zu werden.

Drei Groschen Filmprojekt, Zeitsprung pictures, pictures taken by Stephan Pick

Wenn Du es Dir aussuchen könntest, was eingereicht wird, was für einen Film würdest Du Dir herbeisehnen?
Dieses Jahr bleibt wenig zu wünschen übrig. Im Zusammenhang mit der Debatte über die Geschlechterbilder zum Beispiel. Die Diskussionen darüber, was darstellbar ist, zeigt sich in sehr direkten und extremen Filmen zu der Mann-Frau Thematik: ‚Alles ist gut‘ von Eva Trobisch, „A Young Man with High Potential“, von Linus de Paoli ‚Ende Neu‘ von Leonel Ditsche, ‚Von Bienen und Blumen‘ von Lola Randl, „Liebesfilm“ von Robert Bohrer und Emma Rosa Simon oder in ‚Kim hat einen Penis‘ von Philipp Eichholtz. Und dann sind da eben auch mehr explizit politische Filme. Wackersdorf zum Beispiel, der eine zentrale politische Phase beleuchtet. In Zeiten der restaurativen Tendenzen im gesellschaftlichen Zusammenleben wünsche ich mir ein Kino, das dagegen hält. Das Vielfalt im Zusammenleben feiert. Und da ist es ein Geschenk für mich so „nahkreativ“ mit wunderbaren Filmkünstlern arbeiten zu dürfen. Tendenzen werden von Filmemachern oft gesehen, bevor sie als Themen aufpoppen. Die Filmemacher bekommen dann in der Entwicklung zu hören: ist das denn relevant? Und dann sind die Filme zur richtigen Zeit fertig und ich lerne wieder was über unser Zusammenleben. Verstehe mich und die anderen besser.wackersdorf-online2

Hast Du schon einmal andere Festivalprogrammierer beneidet?
Klar: jeder beneidet Cannes. Das möchte man gerne mal genau beobachten in der heißen Phase. Durch die anderen Festivals die ich begleite, Tallinn und Zürich, sehe ich jedoch viel internationales Kino und andere Tendenzen, was eminent wichtig ist. Man muss den Blick wach halten, Filme sehen, die sich in anderen Ästhetiken bewegen. Außerdem habe ich so viele Freiheiten in München, auch mit den Aufgaben, die über meine Reihe hinausgehen, da schaut man zwar woanders hin – aber in anderen Schuhen stecken möchte ich derzeit nicht.

Ein Kritiker schrieb einmal ich sei der Mann für den Mittelbau des deutschen Films und das habe ich als Kompliment verstanden. Wer natürlich mehr kann, ist der Wettbewerb der Berlinale. Da liefen gerade dieses Jahr hervorragende deutsche Filme. Und natürlich bleibt zu wünschen, dass ein Filmemacher wie Christian Petzold München auch einmal als Premieren-Option sieht, nicht nur in der Reihe Neues Deutsches Fernsehen. Das Vertrauen der Filmemacher ist in der Zwischenzeit aber sehr groß.

Gibt es einen Film, dessen Weg Dich besonders überrascht hat, nachdem er bei Euch im Wettbewerb lief?
Jedes Jahr ist das was man macht eine Wahrscheinlichkeitsrechnung in Sachen in Diskussion. Es geht um den Buzz, die Debatte um einen Film. Gerade bei den kleinen Filmen ist das entscheidend. Da ist es jedes Jahr überraschend, dass das zwei bis drei Filmen nicht gelingt und zwei bis drei andere es schaffen. Ich versuche etwas zu betonen, was ich für wichtig halte. Wie Menschen dann auf die Härte von Filmen reagieren werden, weil sie Schmerzpunkte berühren, kann man nicht genau voraussagen. Der Ankerpunkt von allem ist die Diskussion, dann bekommt der Film auch ein Leben. Wir sind dafür da, dass die Filme wachsen.

Jakob Lass, der in München einen großen Erfolg mit ‚Love Steaks‘ feierte, zeigt dieses Jahr seinen neuen Film ‚So was von da‘. Und auch Lola Randl, die letztes Jahr mit ‚Fühlen sie sich manchmal ausgebrannt und leer‘ vertreten war, kehrt dieses Jahr zurück. Inwiefern bist Du den Filmemachern verbunden und versuchst auch ihren Weg zu begleiten?
Mir ist es eine Freunde, wenn außergewöhnliche Talente Lust haben zurückzukehren. Rudi Gaul, Michael Klier oder auch immer wieder Lemke. In den ersten 25 Jahren der Reihe unter Uli Maass sind viele internationale Filmkarrieren gestartet. Wir freuen uns über diese Münchner Traditionslinien. Und es ist uns wichtig diese immer wieder aufzunehmen, aber entscheidend ist der einzelne Film. Gerade wegen der Tradition, sollte man dann vielleicht auch mal eine Pause machen, wenn der Film nicht ganz einlöst. Dieses Jahr zeigen wir beispielsweise eine Hommage an Philipp Gröning, der mehrere Filme in München startete, obwohl sein Film ‚Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot‘ auf der Berlinale lief.

 

Standfoto "Sowas von da"

In der Reihe sind dieses Jahr 6 Frauen und 15 Männer unter den Regisseur*innen. Tut sich da was in Sachen Gleichberechtigung?
Definitiv tut sich was. Da ist die voll entfaltete Pro Quote Diskussion mit dem ersten Ergebnis: Selbstverpflichtung. Teilhabe muss aber zuerst von den zu entwickelnden Projekten her gedacht werden. Wir brauchen viel mehr Filme von Frauen, dann kann ich auch besser wählen. Als Kurator muss ich von Film zu Film entscheiden. Dennoch feiern wir, was es gibt. So haben wir in der Reihe dieses Jahr eine All Female Jury. Dazu den Cine Merit Award für Emma Thompson, die Retrospektive von Lucrecia Martel und auch Margarethe von Trotta, die ‚Auf der Suche nach Ingmar Bergman‘ vorstellt, ist da.

Neulich fand ich in dem Buch ‚Der alte Film war tot‘ (Anmerkung: Der alte Film war tot: 100 Texte zum westdeutschen Film 1962-1987, Verlag der Autoren, 2001) das Manifest der Filmarbeiterinnen von 1979. Ein Kernsatz war die Forderung der Frauen nach 50 %, unterschrieben von Ulrike Ottinger, Ulla Stöckl und vielen mehr. Aber diesmal ist eine andere Zeit und ein anderer Moment. Wir befinden uns auch weiterhin auf einem guten Weg zu mehr Miteinander und Parität. Man neigt ja gerne zu Fatalismus. Aber die Rollenbilder waren noch nie so brüchig und luden dazu ein, niedergerissen zu werden.

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Festivals erfreuen sich ja wachsender Besucherzahlen, während es im Kino für die Filme weniger gut läuft. Hast Du eine Idee woran das liegt?
Was ist ein gutes Festival? Es ist ein Premierenfestival mit einem wachen Publikum, guten Multiplikatoren und es ist ein Branchentreffen. Das vereinen die wenigsten Festivals. Die anderen scheinen mir immer mehr zu Auswertungsstufen neben dem Kino zu werden. Für uns ist der Kontakt zum Filmemacher entscheidend. Ein Festival kann das und muss das herstellen. Ein JETZT herstellen. Es ist wichtig zu jedem Film Gäste dazuhaben. Das ist die gegenläufige Entwicklung zum Wohnzimmer-Screen: sozialer Austausch. Gleichzeitig wird es für das Kino schwieriger, wenn ein Streaming-Riese Milliarden ausgibt für Eigenproduktionen. Der Unterschied: Kino kann neue Gedanken in den Kopf pflanzen, keine Cliffhanger. Nach gutem Kino will man weiterreden und weiterdenken. Zum Glück reagieren hier einige Kinos mit kuratorischer Gegenwehr. Das Abaton in Hamburg oder das Monopol in München. Spannend ist auch das Wolf in Berlin, die jetzt sogar selber verleihen. Da ist eine Graswurzelbewegung bei der permanent etwas besonders passiert. Kino hat daher eine große Zukunft, auch wenn ich nicht sagen kann, wie es kommerziell funktionieren wird. Die Modelle sind fluide. Aber das Kino bleibt als Ort der Begegnung. Wir als Festival stechen da heraus: jeder Film ist eine Perle und mit ihm muss so genau gearbeitet werden wie möglich. Jeder Film wird hier besonders kontextualisiert.

Wenn Du einen Wunsch frei hättest für das Filmfest, was würdest Du Dir wünschen?
Was ich mir wünsche ist, dass das Filmfest ein wirkliches Bürgerfest wird, wo man sich im öffentlichen Raum über bewegtes Bild austauscht. Und dabei geht es nicht nur um Kino. Wir begleiten schon seit Jahren auch das Fernsehen. Zudem kommt jetzt der Ausbau in Richtung VR, Experimentelles Erzählen oder vielleicht auch Games. Wo geht das entfesselte audiovisuelle Erzählen hin? Da möchten wir in München als Publikumsfestival ein Ort für Diskussionen sein.

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Gibt es etwas worauf Du Dich in diesem Jahr besonders freust, abgesehen von Deiner eigenen Reihe?
Wir sind sehr stolz auf unsere Wettbewerbe. Mit Jia Zhang Ke haben wir außerdem den wichtigsten chinesischen Filmemacher unserer Zeit zu Gast, dazu zeigen wir einen Film von Alice Rohrwacher und die Retrospektive von Lucrecia Martel.

Und wir zeigen den Film des Jahres aus meiner Sicht: ‚First Reformed‘ von Paul Schrader. Das ist der wichtigste Film der ganzen Festivalsaison! Ich empfehle jedem, sich den anzusehen.

 

BILDER: (1) Filmstill: ENDE NEU, (2) Christoph Gröner (©), (3) Filmstill: Mackie Messer, (4) Filmstill: Wackersdorf, (5) Filmstill: So Was Von Da, (6) Filmstill: Von Bienen und Blumen, (7) Filmstill: Glücklich wie Lazzaro – alle Filmstills via Filmfest München

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