Inhalt: 1x Schwanz, 2x Fotze, 2x Solidarität und 1x Lady Bitch Ray Und ein strukturelles Problem, kein persönliches

Julia Heilmann und Thomas Lindemann sind gemeinsam Autoren mehrerer Bücher über modernes Familienleben mit Kindern, darunter der Bericht „Kinderkacke – das ehrliche Elternbuch“, der monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Ihr Arikel ist auch in unserem bitch MATERial Kunstbuch abgedruckt, welches im Rahmen unser Ausstellung entstanden ist, und es in unserem ONLINE SHOP zufinden ist.

Ein Dialog zwischen Mutter und Vater über Mutterschaft und moderner Familie 

Julia:Als mein Mann einmal für ein paar Tage mit unserem kleinen Sohn auf Großelternbesuch war, sagte meine Schwiegermutter hinterher zu mir: „Dein Mann ist eine richtig gute…“ – ich spürte, wie sie um das passende Wort rang – „Mutter“. Ich antwortete freundlich: „Du kannst ruhig Vater sagen.“ Nachdem ich studiert und von meinen Eltern mehr oder weniger die Botschaft mit auf den Weg bekommen hatte, dass ich alles machen könne, was ich wolle, war das ein herber Rückschlag. Zu sehen, wie fest die Rollenklischees sitzen. Vor allem dann, wenn man Kinder bekommt. Das war vor zehn Jahren. Heute habe ich drei Kinder und bin immer noch mit demselben Mann zusammen, und das liegt mit Sicherheit auch daran, dass er sich für die Erziehung der Kinder genauso verantwortlich fühlt wie ich. 

Bis dahin war es ein steiniger Weg. Als ich nach der Geburt des ersten Kindes erst mal ratlos zuhause saß und mein Mann nach wie vor zur Arbeit fuhr, empfand ich das als große Ungerechtigkeit und – wider alles Gerede von den natürlichen Gaben einer Mutter – völlig unnatürlich. Und mein Mann auch. Ich hatte keinen Bock, mich rund um die Uhr um ein Baby zu kümmern, er wollte mehr Zeit mit dem Kleinen. Müde waren wir beide. Keiner verstand, was der andere den ganzen Tag macht, und ständig kämpften wir um Anerkennung für das, was wir geleistet hatten. Wir haben die Rollenerwartungen, die an uns herangetragen wurden, geübt und reflektiert, uns angebrüllt und Teller an der Wand zerdeppert. Und daraus gelernt. „In diesem verfluchten Patriarchat ist es schwer genug, Mutter zu werden. Die Mutterrolle und das verdammt schwere Gepäck, das dazugehört, sollte niemand allein tragen müssen,“ schreibt die schwedische Autorin Maria Sveland in ihrem Bestseller „Bitterfotze“. Dass unser Problem kein persönliches, sondern ein strukturelles ist, haben wir erst später verstanden. 

Thomas:Es gibt Mikromoden, winzige Trendphänomene, die fast wie eine originelle Idee wirken. (In Wirklichkeit kommen viele gleichzeitig drauf.) Als vor gut fünf Jahren die Debatte um Vaterschaft neu entflammt war, weil das Elterngeld und anderer Firlefanz kamen, gab es folgendes: Ungefähr ein Dutzend Väter schrieben oder bloggten unabhängig voneinander darüber, dass sie jetzt einen Rock tragen. Weil ihr kleiner Sohn einen tragen wolle und sie aus Solidarität halt mitmachen. Um den Nachwuchs zu stärken. Oder weil der einfach gesagt hatte, „Papa ich will das machen, aber nur wenn Du auch machst.“ Man tut ja dann immer alles, was die Kinder von einem verlangen, gerade beim ersten. Genussvoll berichteten die Männer, wie sie sich das luftige Kleidungsstück anzogen.

Ich war sauer. Meine Söhne wollten einfach nicht Rock tragen. Was war denn mit denen los? Wollten die etwa so genderkonforme Kerle werden? Der Kleine immerhin zog sich später ab und zu ein Kleid meiner Frau über. Aber nur zu Hause. Alles, was man erledigt haben will, muss man selbst machen, verdammt. Auch das Aufweichen der eigenen Identität. Ich hab mir einfach selbst eine kleine Sammlung Nagellack besorgt. Erst Eltern werden – so habe ich das einer Freundin gegenüber kürzlich genannt, ich werde Eltern, du wirst Eltern, falsches Deutsch, um das Analoge und Homologe zu betonen, egal ob man Mann oder Frau ist oder was immer – erst Eltern werden bringt dich dazu, auch mal Mutter sein zu wollen. Mir doch egal, dass mir das Vater sein vorgegeben ist. Das kann ich nebenbei auch noch machen.

Übrigens, apropos Maria Sveland: Meine Rezension des Buches hatte das tantige deutsche Magazin „Eltern“ damals abgelehnt, wegen dieses Titels, was soll das Wort denn! Damals gab es aber schon längt das „Fotzen-Empowerment“ von Lady Bitch Ray. Und die Chefredakteurin von „Eltern“ war natürlich durchaus eine Chefredakteurin. Na ja, ist ja nicht mein Bier. Bin ja Mann, bei sowas dann eben doch. Da müssen die Frau-Frauen selbst erledigen. Erstaunlich, wie lange sie brauchen.

Julia: Vieles in unserer Aufteilung wirkt traditionell: Zur Zeit verdient mein Mann mehr Geld als ich, er kümmert sich um die Steuererklärung, während ich am Abend die Schulränzen der Kinder kontrolliere und die Wäsche mache. Dafür lackiert er sich aber auch leidenschaftlich gern die Fingernägel, geht einkaufen und mit den Kindern ins Spaßbad. Den besseren Draht zu Handwerkern habe ich, außerdem bin ich furchtloser auf Klettergerüsten. Jeder hat seine Vorlieben und wir machen uns auch nicht mehr verrückt, weil wir ständig reflektieren, was davon „männlich“ oder „weiblich“ ist und ob das okay ist, dass wir tun was wir tun. Als ich meinen Mann kennenlernte, dachten wir uns ziemlich bald, dass es schön wäre Kinder zu haben. Er hatte einen Schwanz, der mir gut gefiel, unsere Sexualorgane waren offensichtlich intakt. Jedenfalls haben wir überraschend schnell Erfolg gehabt. Da freuen wir uns heute noch drüber.

Thomas:Germaine Greer spinnt. Ich weiß wenig über Ikonen der feministischen Bewegung. Aber, vielleicht ist es ein wenig wie Alice Schwarzer, also: Mit den Jahren immer nerviger. Die angesehene, große Australierin hat sich gerade bitter über Elton John und seinen Mann David Furnish beschwert, weil die beiden „die Idee der Mutterschaft dekonstruieren“. Sagt sie. In der Geburtsurkunde der beiden Jungs, die Elton und David großziehen, ist Furnish als Mutter eingetragen. „So leer ist die Idee der Mutterschaft geworden“, hat Greer gesagt. So leer ist der alte Kampf um Emanzipation geworden, sage ich, dass eine verdiente Kämpferin sich in solchem Bla-Bla ergeht. Gegen Elton John kann man manches sagen, aber doch gefälligst nur, was die Musik betrifft. Das Familienfoto der beiden mit den Kindern sieht sehr schön aus. Wir müssen uns Mutterschaft für alle erkämpfen, anders geht es eben nicht. Eine wie Greer ist mit ihrem Betonkopf vor die Wand gefahren und beweist sehr schön, wie sehr das alte Denken an seinen Endpunkt genommen ist.

Julia: Wut empfinde ich dennoch: Über sexistische Werbung zum Beispiel, die finanzielle Nichtanerkennung von Care-Arbeit, die meistens die Mütter machen, oder über eine Schulpolitik, die Kinder zu potentiellen Leistungsträgern unseres kapitalistischen Systems erziehen will. Familie, egal in welcher Form, ob Mama, Papa, Kind oder zwei Mamas oder Papas, Großeltern und Freunde, sehe ich inzwischen als einen echten Wert. Menschen zu haben, die solidarisch miteinander sind, sich bis zum schwächsten Glied unterstützen, und die eine gewaltige Stimme in unserer Gesellschaft haben. 

Thomas: Ich als Mutter finde es etwas traurig, dass meine Frau da jetzt ganz auf die guten alten atavistischen Strukturen zurückkommt als den Rettungsanker. Dass die Familie in der Tatsächlichkeit des partikularen Erfahrungshorizonts die Sache ist, die alle dominiert und teilweise auch rettet (aber teilweise auch versaut, das ist aber eine andere Geschichte), ist für uns klar. Dass sie aber die Solidarität mit den anderen ersetzt, ist auch eine Kapitulation. Leider eine, die man überall sieht. Es gibt jenseits des spontanen Sichzusammenfindens (etwa wenn man jemanden mag, in der Kita) keine Müttersolidarität. Man sieht es an unseren schreibenden Bekannten, diesen Scharen von hoch selbstsicheren und gut angezogenen 31jährigen Frauen, wie sie sich ins Zeug legen in Sachen Feminismus. Wenn die alle demnächst Mütter werden, ist alles vorbei. Warum ich nicht über Väter rede? Na da ist das alles noch trauriger. Der Mann als solcher ist sowieso ein niemand geworden, und wenn ich das sehe, hier in unserer Straße, wie dieser junge Vater mit seinem Schlips ins Büro fährt und die Frau zu Hause wickeln lässt, schlaf ich ein. Bei den Frauen ist die Sache eben interessanter. Aber weder hier noch dort wird – kurz bevor die Familie kommt – überhaupt vorgesorgt für die nächste Selbstdefinition. Selbst wenn die schon an die Tür klopft. Es gibt keine Müttersolidarität. Bisher. Leider. Wir arbeiten dran, hoffentlich. Und wenn es erst einmal mit Hilfe von Nagellack sein muss.

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