Marrakesch begrüßt mich mit Abendsonne. Wohlwollend lassen sich die letzten Sonnenstrahlen auf meine trockene blasse Winterhaut nieder. Ende Januar, die Zeit in der Winter kein Spaß mehr macht, weil man nach Weihnachten eigentlich geglaubt hat, der Frühling werde jetzt ganz bald vor der Tür stehen, es in Wirklichkeit aber erst richtig kalt wird. Ich handel mit dem Taxifahrer, setze mich auf Rückbank, während ein leichtes triumphales Gefühl in mir hochkeimt, dass ich auch hier immer noch doppelt so viel gezahlt habe weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Später auf der Reise werde ich lernen, dass in Marokko es kaum feste Preise gibt, selbst um das Kilo Bananen wird gehandelt.
Der Taxifahrer lässt mich an der Grenze zur Medina raus. Ich gehe gut zwei Minuten, danach Reizüberflutung. Unterschiedlichste Gerüche steigen in meine Nase. 1000 verschiedene Farben lassen mein Auge hin und herspringen. Meine Ohren kapitulieren aufgrund der Geräuschkulisse, und schweben orientierungslos durch die in der Luft. Als Kompass versuchen sich die vielen unterschiedlichen Töne. Der Marktplatz liegt in seiner ganzen Pracht vor mir, die Abenddämmerung hat eingesetzt. Handy Netz keine Chance. Also frage ich mich durch zu meinem Hostel, laufe zielgerichtet durch die Massen – erst Koffer loswerden dann eintauchen in dieses Spektakel. So fängt sie an meine Reise in Marokko, völlig überfordert, neugierig und schon dabei mein Zimmer komplett mit bunten Teppichen, Vasen und Truhen neu einzurichten.
Der Bahia Palast verbirgt sich hinter unscheinbaren Toren. Wir entscheiden uns gegen den Jardin Majorelle, der sowieso von Selfiesticks und Instagramcouples belagert ist, und hoffen auf weniger Touristenandrang. Wir werden belohnt. Nur vereinzelte Tourist*innen verirren sich in der warmen Mittagsstunde in den Gängen, und so haben wir freie Sicht auf unendlich schöne, und vielfältige Musaikmuster, und langen Gängen. Wir lassen uns danach durch die Medina treiben, viel mehr bleibt einem im Marrakesch auch gar nicht übrig, denn am meisten entdeckt man in den kleinen verwinkelten Gassen. Treuer Begleiter ist dabei immer das Gefühl der Reizüberflutung, dass einen nach nur wenigen Stunden in der Stadt aber nicht mehr überfordert, sondern in den Bann seiner Faszination zieht.
Nächster Halt: Agadir! Eine weitere Tagesreise steht auf Tagesplanung, das Panorama ist Entschädigung für sieben Stunden Busfahrt. Mal sind es große rote Berge oder Dünen, dann tobende Wellen, oder Ziegen die in Bäumen hängen. All das begegnet uns auf der Reise nach Agadir. Dort stranden wir für mehrere Tage in einem dieser Hostels in denen Menschen eben stranden – sprich Hostels in denen man eigentlich nur plant 1-2 Nächte zu bleiben uns sich im Handumdrehen noch drei Wochen später mit einem guten Buch in der Hängematte wiederfindet. Eine dreiwöchige Verlängerung unseres Aufenthalts würde dann doch unsere Studentinnenbudgets sprengen, aber immerhin verlängern wir um zwei weitere Nächte in dem Hostel. Hauptgrund ist dafür eigentlich das Essen. Wer hätte gedacht, dass wir das beste Essen Marokkos in einem kleinen Surferhostel direkt am Strand serviert bekommen. Die Philosophie des Hostels ist klar auf einem Gemeinschaftsgedanken aufgebaut, so gibt es Frühstück und Abendessen jeweils nur einmal zu einer bestimmten Uhrzeit. Es folgen Geschmacksexplosionen für die es einer Reihe an Neologismen Bedarf, um ansatzweise das beschreiben zu können was unsere Geschmacksnerven da durchmachen. Nachdem jeder*r auf ihre geschmacklichen Kosten gekommen sind versammeln sich die, die noch wollen um ein großes Feuer. Gemeinschaft ist wirklich das Kredo dieses unglaublich schönen Stückchen Erde.
Wir sitzen in der Lobby unseres Riads als eine Frau mit ihrem Baby und Mann aufgeregt durch die Tür kommt. Das Kind schreit, der Mann scheint sauer, die Frau erschöpft. Sie unterhalten sich, aber wir können sie nicht verstehen, kurze Zeit später ist der Mann weg, das Kind hat sich beruhigt und die Frau neben uns lächelt uns an. Ich kann in diesem Augenblick nicht genau beschreiben, was es ist, was sie ausstrahlt, eine Mischung aus Gegensätzen: Stärke und Verletzlichkeit, Mut und Angst, Zuversicht und Resigniertheit. Wir kommen ins Gespräch und ihre Stimme vereint all diese unterschiedlichen Facetten, als sie in den nächsten 40 min mit uns spricht. Wir erfahren und lernen viel von ihr in diesen 40 min, so viel das ich schon nach wenigen Minuten weiß, das wird so ein Tagebucheintrag Gespräch. Eins dieser Gespräche das irgendwas in einem auslöst, einen weiter formt, einen Einfluss auf einen hat, egal aus welchen Beweggründen. Es wäre zu persönlich all das Preis zugeben, was diese uns fremde Frau uns an diesem Abend Ende Januar anvertraut hat. Dabei liegt die Betonung auf Vertrauen, denn sie hat uns viele Geschichten der Schwäche erzählt, Geschichten geprägt von Rassismus und Verachtung, die sie zu gleichen Teilen bestärkt, aber auch geschwächt haben. Am nächsten Tag treffen wir sie um 7 Uhr Morgens auf der Dachterasse des Riads.
Eine Begegnung die bleibt, vereint im Schweigen über den Dächern von Essaouria, während die Möwen den Tag begrüßen.
BILDER: (1-11) ©Lea Wessels