Immer nur dagegen. Ich bin dafür! – Warum wir die anderen nicht einfach sein lassen, wie sie sind

 

Ich mache jetzt auch mal mit und bin kräftig dagegen. Denn ich frage mich schon lange: Warum wird sich immer so fleißig aufgeregt, wegen nichts? Immer gegen die, die es anders machen, als man selbst. Gruppe A tut was. Gruppe B findet’s scheiße und fühlt sich dadurch angegriffen. Warum nur?

Besonders krass fällt es mir bei diesen Kombinationen auf: Veganer vs. Omnivoren, Gläubige vs. Atheisten, Fitnessfreaks vs. Sportverweigerer, Hipster vs. Nicht-ganz-so-Hipster, Früh-Gentrifizierer gegen Spät-Gentrifizierer, stillende Mütter gegen Flaschen-Mütter, … Wie ihr seht, die Liste ist unerschöpflich. Und jedes Mal aufs neue denke ich so: Häh?

Warum kann nicht jeder einfach essen, was er will und was ihm gut tut, ohne dafür gedisst zu werden. Ich esse alles, naja, fast alles (keine Pilze, keine Bananen, keine Auberginen). Aber von Aprikosen bis Zander, von Bries bis Yam, von Chlorella bis Xylith… Ich stopfe alles in mich rein. Aus Neugier, aus Liebe, aus Spaß und aus Faulheit.

Dennoch lag mir noch nie etwas ferner, als einem Veganer zu sagen, er will nur abnehmen, oder einem Trend hinterherhecheln. Ihm deshalb das Recht auf seine Ernährungsweise abzusprechen finde ich sogar noch absurder. Tierschutz, Umweltschutz und die Liebe zum eigenen Körper, sowie Fitness oder Krankheiten wie Rheuma sind doch ein guter Grund sich gesund zu ernähren. Auch Hashtags wie #glutenfree oder #vegan tun doch keinem weh. Wir sehen doch auch überall Werbung der Milchindustrie und wer Fleisch isst, hat ebenfalls seine Gründe und seine Hashtags.

Und schließlich frage ich mich: Was wäre so schlimm daran, wenn jemand sich Gedanken über seine Figur macht oder einem Trend hinterherläuft? Hat er dann nicht schon genug Probleme, als dass man ihn dafür noch beschimpfen müsste? Oder tut er einfach nur das, was die meisten von uns machen?

Selbstoptimierung ist das Stichwort. Viele betreiben sie, mindestens genauso viele verachten sie. Sport ist ein Teil davon. Aber ich mache keinen Sport, weil Sport mich langweilt. Er langweilt mich so extrem, dass ich noch nie auf die Idee kam mich in einem Fitnessstudio anzumelden. Aber deshalb beschimpfe ich doch nicht öffentlich irgendwelche Sportfreaks. Im Gegenteil: Ich bewundere ihre Disziplin und ihre Fitness. Es ist die eine Sache eine Haltung zu haben und die andere, sie anderen Personen abzusprechen. Warum sollten Sportler sich nicht in waghalsige Abenteuer begeben, während ich auf dem Sofa liege und nur im Internet surfe? Ich bin für ein Recht auf Selbstzerstörung, solange man niemand anderem damit schadet.

Jemandem Schaden zuzufügen wird oft Frauen vorgeworfen, die Kinder haben. (Mütter machen per se alles falsch.) Zum Glück habe ich meine Kinder gestillt. Das soll man nämlich machen und ich habe es getan. Strike! Allerdings so, wie ich es für richtig und praktikabel hielt. Daher stillte ich nicht vier Jahre lang, wie meine Kinder sich das bestimmt gewünscht hätten, aber immerhin eines. Danach wollte ich meinen Körper zurück. Trotzdem wundere ich mich über die Empörung, wenn Frauen 3-jährige Kinder stillen. Das ist doch weder unnatürlich, noch eklig. Und wenn das Kind sich freut und es der Mutter gut geht, ist langes Stillen doch absolut in Ordnung, oder? Es ist nur ungewöhnlich in unserer Gesellschaft. Und ungewöhnlich scheint nicht gern gesehen zu sein.

Reine Flaschenkinder werden auch kritisch beäugt. Gerne wird auch mal was dazu gesagt: ‚Das ist aber nicht so gut, wegen der Allergien und so…’ Aber, vielleicht gibt es gute Gründe warum die Mutter die Flasche gibt: Brustkrebs, Milchstau, Babyblues oder Stress. Oder die Mutter ist halt eine egozentrische Bitch. Selbst, wenn!? Hast Du deswegen ein Recht ihr das zu sagen, wenn sie nicht Deine beste Freundin ist?

Es ist ja nicht nur wichtig, wie lange eine Mutter stillt, ob sie Gläschen füttert oder selber kocht, ob sie arbeitet oder nicht. Es wird sogar verhandelt, wo eine Mutter ihre Kindersachen kauft. Der Ökoladen scheint dann wieder besonders verpönt. Man darf aber in keinem Fall sagen: “Ich mag’s lieber im Kaufhaus.” Auch falsch. Ich übrigens mag’s da nicht. Ein kleiner Concept-Store mit Second-Hand Sachen wäre mir lieber. Aber noch lieber wäre mir gar nicht Einkaufen (deshalb mache ich das auch so gut wie nie) und Rotwein und Schokokuchen zum Frühstück. Oh, das war bestimmt auch schon wieder falsch. Mir aber egal.

Wer ein schlechtes Gewissen hat, wenn die Anderen gesundes Essen posten oder ihre perfekt trainierten Körper zur Schau stellen oder erklären, wie gut Fläschchennahrung für die Brüste der Frau ist, der sollte vielleicht über seine Selbstwahrnehmung nachdenken. Denn wer von dem, was er tut, überzeugt ist, lässt sich davon schließlich nicht einschüchtern. Und wer sich einschüchtern lässt, sollte vielleicht nachfragen, zuhören und etwas an seinem Leben verändern, bis er es besser findet. Das Ziel kann doch nicht sein, dass alle so leben wie ich, nur damit ich mich wohl fühle.

Mir scheint es herrscht ein unglaublicher Druck, der die Leute in einen Kindergartenmodus verfallen lässt. Bloß nicht darüber nachdenken, wer man selbst sein will und daran arbeiten es zu werden. Statt die eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten anzuerkennen: lieber rummosern. Bio ist scheiße und Massentierhaltung auch und Reisen und Lohas und Kunst und nicht Kunst und Helene Fischer ist besonders doof. Ja, ich finde doch Helene Fischer auch nicht gut, aber wenn die alle auf ihr Konzert gehen, wollen die solange schon nichts von mir. Und ich habe nun wirklich schon genug Feinde, als dass ich noch die Helene Fischer Fans dazu bräuchte. Ich wohne nämlich erst seit sieben Jahren in Berlin und das ist auch nicht so gerne gesehen, bei den Leuten die schon länger hier wohnen.

Jetzt könnte man Fragen: Warum beschweren sich Leute, die vor 17 Jahren nach Berlin gezogen sind, dass noch mehr Leute hier leben wollen und dass die Stadt sich verändert, deren Veränderung sie mit ins Rollen gebracht haben? Wenn sie Veränderung so Kacke finden, warum sind sie dann nicht in Bielefeld geblieben oder in Nürnberg? Vielleicht weil sie heute auch nur Sicherheit und Geborgenheit wollen und diese ständige Veränderung satt haben, die sie einmal suchten. Kann doch passieren. Aber da können doch die jungen suchenden Kunststudenten nichts dafür. Und die Touristen, die sind doch auch nur Menschen.

Wir alle scheinen am liebsten in einer homogenen Blase leben zu wollen, wo alles unserer eigenen Meinung und Haltung entspricht. Und alle anderen sind draußen und doof. So läuft das aber nicht. Das geht vielleicht in Dresden, wo Pegida gegen die 0,4 % Muslime protestiert, die es dort gibt. Aber in den meisten Gegenden wird dann alles leichter, wenn wir akzeptieren, dass jeder etwas anderes gut findet. Manchmal sehe ich mich um und frage mich: sind wir denn so weit weg von den Leuten, die gerade auf die Straße gehen und ihr Leben beschützen wollen, die ihr Richtig verteidigen? Ist ihr Netz nicht nur engmaschiger und deutlich undurchlässiger als unseres? Wenn wir von den Demonstranten Offenheit erwarten, sollten wir vielleicht auch selbst offener und toleranter werden.

Ich mag es, wenn Leute ehrlich sind und herzlich. Ob sie dabei Tofu-Burger essen oder Steak, ob sie Turnschuhe tragen oder Clogs, ob sie am Wochenende joggen oder abgammeln, ob sie Männer oder Frauen küssen, ob sie gut angezogen sind oder nicht, ist doch zweitrangig. Und manche Leute findet man halt Kacke, selbst wenn sie alles richtig machen. Das hat dann bestimmt wieder mit den Hormonen zu tun, oder so. Die meisten versuchen das zu machen, woran sie glauben und was sie für richtig halten. Oft stoßen sie dabei an ihre Grenzen, gehen Mittelwege und finden Kompromisse mit sich selbst und den Menschen, die sie umgeben. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und leider gibt es selten einen richtigen Weg. Jeder muss seinen eigenen finden und damit klarkommen. Ist das nicht schon schwer genug? Warum muss man dann immer noch öffentlich angepflaumt werden?

Wieso können wir nicht einfach damit leben, dass keiner perfekt ist? Die anderen nicht und wir selbst sowieso nicht. Es gibt so viele unterschiedliche Geschmäcker auf der Welt, so viele Traditionen, Kulturen, Vorstellungen, Wünsche, Sehnsüchte und Träume. Warum können wir die anderen nicht einfach lassen, wie sie sind? Wir machen alle ständig alles falsch und das ist richtig so.

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