Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Veronika: Schon früh in meiner Kindheit. Mein Vater hat immer viel fotografiert und seine Bilder zum Grossteil selbst entwickelt. Ich hab dann schon früh angefangen im S/W Heimlabor meine Bilder zu entwickeln. Alles was mich umgab wurde abgelichtet. Das Entwickeln und Vergrößern meiner „Welt“ hat mich wahnsinnig fasziniert. Während des Abitur hatte ich dann im Kunst LK einen Schwerpunkt auf Fotografie und da war der Weg für mich ganz klar. Fotografie wollte ich zu meinem Beruf machen.
Kirsten: Zur Einschulung schenkte mir meine Mutter eine gelbe Kleinbildkamera. Eher ein Spielzeug, aber das war mein Einstig – symbolisch betrachtet. Man konnte einen Film einlegen und auslösen, allerdings keinerlei Einstellungen machen. Ich erinnere mich gut an den Geruch der Filmrollen, und daran, dass ich im Alter von sechs Jahren ca. mit meiner Mutter gegenseitige Polaroid Portraits fotografiert habe. Meine Eltern habe ich auch in regelmäßigen Abständen zu einem gemeinsamen Polaroid überredet. Später habe ich meine Freundinnen an meiner Zimmertür inszeniert und mit unterschiedlichen Hintergründen und Licht experimentiert. Bewusst ging es erst im Studium los, an der Folkwang Essen. Meine erste Semesterarbeit war ein Zitat – damals schon habe ich Cindy Sherman verehrt und habe Selbstportraits mit einem Diaprojektor umgesetzt.
Hast du selber persönliche Erfahrungen in deiner beruflichen Laufbahn gemacht, in denen du dich aufgrund deines Geschlecht benachteiligt gefühlt hast?
Veronika: Diese Frage tauchen in Gesprächen mit Kolleginnen gerade immer wieder auf. Ich selbst habe nie erlebt, dass ich auf Grund meines Geschlechts einen Fotojob nicht bekommen habe. Oder dass ein männlicher Kollege bevorzugt wurde. Allerdings ist es oftmals auch schwer rauszufinden, warum dieser oder jene Job an einem vorbei gegangen ist. Ich denke, da spielen jede Menge verschiedene Faktoren hinein, die über die Geschlechterzugehörigkeit hinaus gehen. Oft sind es so simple Dinge, wie dass in meinem Portfolio nicht genügend Arbeiten in einer bestimmten Richtung vorkommen, die der Kunde gern für das jeweilige Projekt umsetzen möchte. Der Markt gerade in Sachen Werbefotografie ist hart umkämpft. Die Auswahl an Fotografen für Kundenseite riesig.
Kirsten: Es gibt häufiger Erfahrungen, die mir das Gefühl geben bevormundet oder belächelt zu werden. Das findet aber eher im Privatkunden-Kontakt statt, häufig auf Hochzeiten, die ich ab und zu immer noch fotografiere. Da gibt es diese klassischen Fragen ob ich denn beruflich fotografiere und das unschöne Geplänkel über Kameramodell und Amateurfotografie. Das würde ich gerne in einem Wimpernschlag erledigen. Meist braucht es da aber ein, zwei Sätze – und zu genervt möchte man ja auch nicht wirken. Diese Dinge wiederholen sind doch recht oft und ich würde sie in Teilen dem Geschlecht, aber auch dem Berufsbild zuordnen. Deshalb ist es so sinnvoll, dass wir FemalePhotographers gründen.
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Zusammenarbeit mit Auftraggeber*innen im Bezug auf Arbeitsklima, Bezahlung und respektvollem Umgang auf Augenhöhe?
Veronika: Auch da muss ich passen. Ich denke, es kommt mehr auf die zwischenmenschliche Chemie an, wie die Stimmung am Set und das gemeinsame Arbeiten ist. Ich selbst probiere anderen immer so zu begegnen, wie ich selbst gern behandelt werden möchte. Und klar, ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkunden und man regt sich über die ewig unbezahlten Rechnungen auf, aber dahinter stecken wieder ganz andere Dynamiken und Firmen Strukturen, auf die wir wenig Einfluss haben, egal ob Mann oder Frau.
Kirsten: Bisher konnte ich im Gespräch mit männlichen Kollegen kaum Differenzen in der Bezahlung feststellen, ich denke aber, dass die Grenzen heutzutage fließend sind. Der Trend geht zur Ausbeuterei – zum Beispiel pitcht man um Jobs und schreibt einen umfangreichen Kostenvoranschlag, gibt eventuell Tipps zur Produktion oder soll sogar das Casting andenken. Da gilt äußerste Vorsicht. Das Business ist hart, Agenturen neigen dazu Forderungen zu stellen, die im Angebot nicht veranschlagt wurden und testen aus, wieviel sie rausschlagen können. Da hockt man unter Umständen sogar nach Beendigung des Shootings an einer unvereinbaren Nachbereitung, Retusche – jeglicher Form der Extraarbeit und ärgert sich schwarz, weil man keinen Vertrag aufgesetzt hat. So ging es mir anfangs oft. Ich denke, dass es noch viele weibliche Fotografen gibt, die ihre Leistung nicht fair genug bezahlen lassen und das hat auch immer mit Unsicherheit zu tun.
Du hast zusammen mit der Fotografin Kirsten Becken die Plattfor ,Female photographers.org‘ ins Leben gerufen. Wie habt ihr euch kennen gelernt?
Veronika: Als mir irgendwann der Gedanke zu einer Art von Organisation von weiblichen Fotografinnen kam, kam mir Kirsten sofort in den Sinn. Sie ist eine absolute Macherin und Powerfrau, die das Netzwerken liebt und Ideen auch wirklich in die Tat umsetzt!
Ich habe Kirsten über gemeinsame Freunde/Kollegen empfehlen bekommen, als ich vor zig Jahren einen Relaunch von meiner Webseite brauchte und Kirsten noch hauptsächlich in der Artdirektion gearbeitet hat. Wir haben uns dann immer mal über die Jahre in Sachen Fotografie und Mutter sein in diesem Business ausgetauscht und dann endlich zum Start von FP.org live getroffen.
Warum braucht es so eine Plattform wie ,Female photographers.org‘, die ausschließlich weibliche Fotografinnen zusammen bringen will?
Veronika: Für mich persönlich hat das Zusammenkommen von Frauen immer etwas sehr nährendes und inspirierendes. Gerade in einem Berufsfeld wie der Fotografie, wo man hauptsächlich auf sich allein gestellt ist, finde ich es wichtig, sich austauschen zu können. Und da finde ich die Kommunikation zwischen Frauen meistens entspannter und ehrlicher. Ich habe auch viele grossartige männliche Kollegen mit denen ich seit Jahren sehr gut befreundet bin und die zum Teil als Mentoren fungieren, aber wenn es dann zum Beispiel um Themen wie Mutter werden/sein in einem kreativen Job geht, ist der Austausch mit meinem „Tribe“ unabdingbar. Gerade da die Sozialen Medien heutzutage so viele Dinge anders und besser erscheinen lassen als sie sind, weil es dort, meiner Meinung nach hauptsächlich doch um „Eigenwerbung“ dreht, finde ich es umso wichtiger sich auf Augenhöhen im wahrem Leben zu treffen.
Kirsten: In der Fotografie sind Frauen bereits gut vertreten und auch präsent. Insbesondere in der Kunstfotografie macht es einen ausgeglichenen Eindruck. Trotzdem fanden wir die Motivation eine Freie Organisation zu benennen und haben losgelegt. Gerade auch, wie Veronika es schon beschrieben hat, in Bezug auf Mutterschaft, Zeitdruck/Zeitnot und die Belastung, die Frauen mit Kindern im Beruf zu tragen haben und die Hürden, die die Arbeitswelt immernoch stellt. Es geht um einen Zusammenschluss, eine starke, große Gruppe – ein kuratiertes Netzwerk. Die Mischung aus etablierten und aufstrebenden Fotografinnen soll eine Bandbreite schaffen und möglichst viele Frauen ansprechen und motivieren. Wir denken groß und stehen noch am Anfang, aber freuen uns schon auf alles was auf die Beine gestellt wird.
Was sind die Zeile, die ihr mit ,Female photographers.org‘ verfolgt?
Veronika: Wir wollen mit FP eine lebendige Plattform für weibliche Fotografen schaffen, die sowohl als Präsentation der jeweilgen Fotografinnen als auch als Ort zum ehrlichen Austausch und Information dienen soll. Das heisst auf lange Sicht soll es auf der Website eine Übersicht von Portfolios geben und eine Art Forum zum direkten Austausch. Wir planen Print Publikationen und diverse Events.
Kirsten: Wir begreifen FemalePhotographers.Org als Prozess und haben früh gestartet und es transparent gehalten. Der Wachstumsprozess ist nachvollziehbar – das heißt man kann auf Instagram und auf unsere Liste sehen, wer neu dazugestoßen ist. Das Hauptziel ist Sichtbarkeit, Stärke durch Vernetzung und Gemeinschaft. Idealerweise möchten wir natürlich noch mehr bieten und hatten eine Rechtsberatung im Kopf, ein Nachschlagewerk für berufliche Probleme, Erfahrungsberichte und einen journalistisch geführten Blog mit unterschiedlichen Autoren. All das steht auf unserem Zettel und wird Stück für Stück umgesetzt. Die allererste Zusage kam übrigens von der großartigen Fotografin Laura Pannack, die ein enthusiastisches „ABSOLUTELY“ vorausschickte. Mittlerweile sind Julia Fullerton-Batten, Jessica Barthel und Julia Sellmann dabei.
Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (bbk) hat in der “Studie zur Lage der Bildenden Künstler*innen“ in Berlin dargelegt, dass die durchschnittliche Anzahl von Einzelausstellungen in den letzten Jahren bei Männern um 22% höher lag als bei Frauen. Beliebtes Argument der Kurator*innen ist, dass man sich wirklich bemühe aber keinen Qualitätsverlust akzeptieren könne, oder es schlicht und ergreifend zu wenig Künstlerinnen gebe. Wie argumentierst du gegen diese These?
Veronika: Ich denke, es gibt jede Menge Faktoren, die solche Zahlen in Studien beeinflussen, die wieder über die Geschlechter Frage hinausgehen und die wir oft vielleicht nicht sehen oder uns darüber nicht bewusst sind. Würde man da im Einzelfall ein wenig mehr graben, würde sich sicher herausfinden lassen, was hinter den Entscheidungen von Kurator*innen noch so alles steht? Wie sehen die Strukturen da aus, wie fließen die Gelder, wer sind die Sponsoren? Darüber hinaus ist, Mutterschaft noch ein grosser Faktor bei dem viele Frauen mehr Kompromisse eingehen müssen als Männer. Diese Entscheidungen sind aber auch sehr individuell und gerade in Deutschland sehe ich immer mehr Väter, die Elternzeit nehmen und die Kinderbetreuung übernehmen. Für mich war es klar, dass ich meinen Sohn nicht von Anfang an Vollzeit in eine Betreuung gebe und mir eine gewisse Auszeit für ihn nehme. Was aber auch nicht bedeutet, dass ich meinen Job und mein kreatives Schaffen in dieser Zeit komplett an den Nagel gehängt habe. Ich habe das grosse Glück, dass ich mir hier in Dublin ein gutes Netzwerk mit anderen selbstständigen Müttern mit Kindern im gleichen Alter geschaffen habe, in dem wir uns die Kinderbetreuung teilen. Das hilft ungemein, gerade, was die finanzielle Seite angeht, da Irland leider noch arg hinterher ist, was eine finanzierbare Kinderbetreuung angeht. Und hier sind wir wieder beim tribe.
Kirsten: Für mich ist diese Aussage ein fadenscheiniges Argument. Natürlich haben Frauen es auf dem Kunstmarkt schwerer, egal ob mit oder ohne Kind. Es herrscht einfach ein unausgesprochenes Gesetz, ein undefinierbares Gehabe zwischen Männern, das mit Macht zu tun hat. Ich kann es gar nicht wirklich in Worte fassen, glaube aber tatsächlich, dass es noch Zeit braucht bis Frauen die 22% mehr schaffen und Männer solche Fragen stellen müssen. Das Argument Qualitätsverlust finde ich frech und kann es schwer nachvollziehen, insbesondere weil in der Kunst immer schon konservative Strukturen und althergebrachte Machtverhältnisse herrschten. In New York gibt es zur Zeit eine große Ausstellung von Hilma af Klint im Guggenheim Museum ( https://www.guggenheim.org/video/hilma-af-klint ), die Jahre vor Kandinsky oder Mondrian beeindruckende, malerische, abstrakte Arbeiten erstellte. Diese großformatigen Arbeiten werden heute gezeigt – viele Jahrzehnte später.
Glaubst du, dass Gemeinschaft und Vereinigung von Künstlerinnen die Lösung sind, den auch im Kunstbetrieb vorhandenen patriarchalen Strukturen entgegen zu wirken, die sich durch Pay Gab und Unterrepräsentation von Frauen im Ausstellungskontext bemerkbar macht?
Veronika:Ich denke, dass ein Erfahrungsaustausch enorm wichtig ist und dass Gemeinschaften und Vereinigungen von Künstlerinnen deren Postition sehr stärken können. Ganz wichtig finde ich allerdings auch, dass solche Zusammentreffen nicht in männerfeindliche Kampagnen ausarten, sondern dass man sich die gesellschaftlichen Fakten und Hintergründe anschaut und versteht. Nur dann kommt man, meiner Meinung nach, auf einen grünen Zweig und kann für Veränderung sorgen.
Kirsten: Ein gutes Netzwerk ist Motor und Motivation zugleich. Gegenseitige Hilfe, Entgegenkommen und Zuhören, Austausch und das Teilen von Wissen oder auch Erfahrungen macht stärker. Der Kuchen ist groß genug, es ist reichlich für alle da. Für mich geht es im Wesentlichen um Großzügigkeit und ein offenes und mutiges Aufeinanderzugehen. Zu oft habe ich auch gerade in der Zusammenarbeit mit Frauen unterschwellige Konkurrenz-Kämpfe und Stutenbissigkeit erlebt. All das ist meiner Meinung nach aus der Angst gewachsen zu kurz zu kommen und diese Angst gilt es auszuhebeln.
Vielen Dank für eure Antworten!
BILDER: (1) ©Kirsten Becken, (2) ©Haley Morris-Cafiero, (3) ©Julia Fullerton-Batten, (4) ©Hanna Mattes, (5) ©Nora Lowinsky, (6) ©Lilly Urbat, (7) ©Jennifer Greenburg