Brenda Lien ist eine junge Autorenfilmerin und Filmmusik-Komponistin. Seit 2012 studiert sie Kunst mit dem Schwerpunkt Film und Animation an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Im Rahmen des Kurzfilm Festivals in Oberhausen hatte ich die Möglichkeit, nicht nur mit ihrer Arbeit in Berührung zu kommen, sondern auch ihrer Person selbst. Mit nur 23 Jahren hat sie es geschafft, ihre Kurzfilme auf unterschiedlichsten Filmfestivals präsentieren zu können, unter anderem auch auf der Berlinale des vergangenen Jahres.
Brenda, du machst Filme und das inzwischen auch sehr erfolgreich. Wann hat deine Leidenschaft für das Filme machen angefangen und wie sahen deine ersten Schritte aus?
In meiner Schulzeit wollte ich eigentlich Pianistin oder Orchestermusikerin werden. Nebenbei habe ich aber auch immer viel gezeichnet, fotografiert, gefilmt oder mit meiner Schwester kleine Theaterstücke für unsere Familie inszeniert. An Dr. Hoch´s Konservatorium in Frankfurt, an dem ich Klavier, Geige und Bratsche lernte, hatte ich auch Kompositionsunterricht und irgendwann habe ich dann für mich herausgefunden, dass generell das Kreieren neuer Inhalte mich mehr reizte, als das Interpretieren von Werken anderer. Nach der elften Klasse entschied ich mich also für ein künstlerisches Filmstudium an der Hochschule für Gestaltung Offenbach.
Dein letztes großes Projekt besteht aus drei Kurzfilmen, die zusammen eine Trilogie bilden („Call of Beauty“, „Call of Cuteness“, „Call of Comfort“). Wovon handeln die Filme allgemein und warum ist es für dich wichtig, einen kritischen Diskurs zu eröffnen?Jeder Film der Trilogie hat ein bestimmtes Internet-Videoformat zum Thema. „Call of Beauty“ blickt hinter die Kulissen der Beauty-YouTuberinnen, „Call of Cuteness“ setzt sich mit Katzenvideos auseinander und „Call of Comfort“ integriert die Ästhetik von ASMR-Videos (Meditations- und Entspannungsvideos auf YouTube). Mich hat dabei interessiert, warum bestimmte Videos so beliebt sind, was ihre Popularität über unsere Kultur aussagt und was für einen Effekt der hohe Konsum dieser Videos auf unsere Gesellschaft haben kann. Ich glaube, dass die Analyse der Kunst und Kultur, die eine Gesellschaft schafft und konsumiert, sehr scharfe Einblicke in verbreitete Denkweisen oder auch Machtstrukturen bietet.
Die Titel bleiben im Kopf. Steckt auch hinter ihnen eine Message?
Als ich den ersten Film „Call of Beauty“ schrieb, war die Trilogie noch gar nicht geplant. Der Titel spielt auf das Ego-Shooter Videospiel „Call of Duty“ an – ich wollte hierbei die „weibliche Pflicht“ zur Schönheit und die „männlichen Pflicht“ zum Kriegsdienst, zum aggressiven/dominanten Verhalten, gegenüberstellen. Beides sind sozial konstruierte Rollen, die sowohl Frauen, als auch Männer in ihrer freien Entfaltung einschränken können. Der disziplinäre Ton, auf den „Call of Beauty“ anspielt, sollte auch die Autoaggression widerspiegeln, die im Schönheitswahn geschürt wird. Der eigene Körper wird als „falsch“ wahrgenommen, es wird einem unrealistischen Schönheitsideal hinterhergejagt (selbst die Models auf dem Magazincover sehen nicht aus wie die Models auf dem Magazincover), welches dann oft als „gesund“ deklariert wird (ich gab einmal einen Workshop für Schülerinnen, in dem wir das Thema Schönheitswahn diskutierten – da erzählten mir 11-Jährige, wie sie jeden Morgen ihre „Augenringe“ abdeckten, weil sie sonst „ungesund“ aussehen würden).
Einen ähnlichen Ton wollte ich dann auch für die anderen beiden Filme übernehmen. Der „Call of Cuteness“ ist wie die tägliche Dosis an Süßheit, die wir uns mit dem Konsum der Katzenvideos injizieren. Etwas, das auf Abruf bereit ist – ob es will oder nicht. Das spielt das Thema der Objektifizierung und Ausbeutung an, die in dem Film behandelt wird.
„Call of Comfort“ ist eigentlich am weitesten vom ursprünglichen Konzept entfernt, da eher die Ästhetik und Gefühlsebene von ASMR-Videos übernommen wird. Es wird künstliche Liebe, Geborgenheit und Sicherheit vermittelt.
Für Leute die „Call of Beauty“ nicht gesehen haben kurz und knapp: worum geht es?
Da würde ich gerne erst mal die Synopsis des Films zitieren: „Zwei Freundinnen betreiben einen Schmink-Kanal auf YouTube. Im Dschungel von Schönheitswahn, Beauty-Industrie und Produktplatzierung stellt sich die Frage, ob YouTube noch das freie Medium ohne Grenzen ist, oder ob es schon längst zu einem industriell gekerbten Raum geworden ist – eine Tyrannei der Klicks, Likes und Follower, in der mit Authentizität gehandelt und mit Wahrheiten gespielt wird.“
Ich sehe die Beauty-Videos als Symptom unseres Schönheitskults – Mädchen* und Frauen* wurde beigebracht, sich für Schminke zu interessieren, deshalb verbringen sie Zeit mit dem Produzieren und Konsumieren dieser Videos. Gleichzeitig sind diese Videos eine Art Machtinstrument der Beauty-Industrie geworden – sie bezahlt Beauty-Blogger_innen, deren Produkte mehr oder weniger offensichtlich zu bewerben und ein unrealistisches Schönheitsideal zu propagieren. Die Ironie ist: Für die Beauty-Industrie ist es von existentieller Bedeutung, dass ihre Konsument_innen sich nicht schön, sondern hässlich finden. Sie lebt von Selbsthass und Autoaggression, die mit den Beauty-Produkten kompensiert werden sollen.
Siehst du dich in einem persönlichen Konflikt zwischen Konsumentin und Kritikerin oder kannst du von oben als neutrale Betrachterin auf den ganzen Internet Hype blicken?
Einerseits wirst du immer einen blinden Fleck in deiner Analyse haben, wenn du ein System betrachtest, dem du selbst angehörst. Andererseits bietet der Blick von oben, als neutrale Betrachterin meiner Meinung nach nicht immer die nötige Schärfe. Ich glaube, es war die Kombination beider Perspektiven, die „Call of Beauty“ gutgetan hat.
Natürlich war (und selten bin) ich auch mal „systemkonforme“ Konsumentin und habe mich nicht ohne Schminke zur Schule getraut – und beim Schreiben des Drehbuchs fragte ich mich „warum eigentlich?“. Mit 15 Jahren hatte ich jedoch auch schon eine Parodie über Beauty-YouTuberinnen gedreht, in der ich mich über ihre (vermeintliche) Oberflächlichkeit und Selbstverliebtheit lustig machte. Als ich 2015 das Drehbuch zu „Call of Beauty“ schrieb, war mir diese Darstellung der Mädchen zu oberflächlich. Es ist allzu leicht, sich über Schmink-besessene „kleine“ Mädchen lustig zu machen, und es damit zum nichtigen „first world problem“ zu degradieren. Wenn wir uns aber anschauen, wie viel Geld hinter dieser Industrie steckt, wie ausbeuterisch es für viele Frauen ist – psychisch, physisch und vor allem finanziell – dann wird einem bewusst, wie viel Bedeutung dieses Thema hat, und zwar auf einer gesellschaftlichen Ebene. Es ist eine Renaissance alter Rollenklischees gekoppelt mit kapitalistischen Interessen. Solange es eine Breaking-News ist, wenn ein weiblicher* Star ungeschminkt bei einer Gala auftaucht, wird deutlich, wie verdreht unsere Wahrnehmung ist: Männer* laufen jeden Tag ungeschminkt durch die Welt.
Was, glaubst du, ist die Gefahr, die von YouTube ausgeht, gerade in Bezug auf Werbung?
YouTube ist das neue Fernsehen für Kinder und Jugendliche – das Publikum von Beauty-Videos ist also entsprechend jung und damit in einem Alter, wo sie die Grenzen zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt nicht klar erkennen können. Das ist ja selbst für Erwachsene schwer! Es hat sich eine ganze Industrie gebildet, die daran interessiert ist, diese Grenzen zu verwischen und potentielle Konsument*innen auf einer unterbewussten Ebene zu erreichen. Werbung wird zum Unterhaltungsprogramm. Die Beauty-Bloggerinnen sind ja auch oft noch im ähnlichen Alter, wie ihr Publikum – das steigert die Authentizität, weil die Bloggerin als „Freundin von nebenan“ wahrgenommen wird. Somit wirken die Videos mit Produktplatzierung wie ein trojanisches Pferd in die Herzen der jungen Menschen.
Ich sehe die Gefahr darin, dass es im Internet (und wahrscheinlich generell auch in unserer Welt) immer weniger werbefreie Räume gibt – von allen Seiten werden wir mit Werbung bombardiert und zum Konsumieren angeregt. Konsum ist längst nicht mehr Mittel zum Zweck. Er wurde zum Selbstzweck; das Kontemplieren darüber, welches Produkt nun das bessere ist und das Anschaffen selbst ist zum validen Zeitvertreib, fast wie ein Hobby geworden. Diese Dynamik spiegelt sich auch in Phänomenen wie „fast fashion“ wieder. Der Zeitraum zwischen Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung wird immer kürzer, damit aber auch die Halbwertszeit der Magie, die von einem neugekauften Produkt ausgeht. Konsumprodukte werden nicht mehr unbedingt weggeschmissen oder ersetzt, weil sie ihren Nutzen nicht mehr erfüllen, sondern weil der Neuheitszauber der geupdateten Version potenter ist. So eine Kultur hat natürlich ein ganzes Spektrum an negativen Nebeneffekten, angefangen bei billiger Produktion unter schlechten Arbeitsbedingungen, ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Umwelt.
Jetzt habe ich natürlich stark rausgezoomt in Bezug auf deine Frage, aber ich glaube, dass Werbung und die Kultur, die die Werbung umgibt, fester Bestandteil dieses negativen Kreislaufs ist.
„Call of Cuteness“ dreht sich rund um die süßen, witzigen Katzenvideos auf YouTube und hebt sich damit nicht nur thematisch ab, sondern ist im Gegensatz zu den anderen beiden Teilen animiert. Wie unterscheidet sich deine Herangehensweise beim animierten Film und warum hast du speziell für dieses Thema die Art von Film gewählt?
“Call of Cuteness“ ist ein Bodyhorror Film über Katzen, der eigentlich das Leben einer Ware erzählt: die Babykatze wird von Anfang an gefilmt, inszeniert, aber auch kontrolliert. Sie wird zum Konsumobjekt gemacht, das am Lebensanfang den Höhepunkt der Süßheits-Karriere feiert und danach mit jedem Tag einen Schritt näher zum Ablaufdatum geht. Ein Befreiungsversuch scheitert: es stellt sich heraus, dass dieser nur ein weiterer Schritt im Hamsterrad der Selbstverwirklichung darstellt. Die Katze wird nun übelst bestraft, aufgeschnitten, auseinandergenommen, ausgebeutet und vergewaltigt. Am Ende muss sie noch für ein letztes Foto mit ihren Katzenbabys posieren, bevor sie dann ins Meer geschmissen wird, zusammen mit dem anderen kulturellen Abfall.
Bei so viel Blut wäre ein Realfilm natürlich nicht möglich gewesen. Die Zeichentrickanimation ist per Rotoskopieverfahren entstanden, d.h. die Zeichnungen basieren auf echten Fotos / Videos. Dadurch konnte ich echte Katzen-Videos oder Memes zitieren bzw. sie aus ihrem ursprünglichen Kontext entfernen und neu montieren. Die blutigen Szenen habe ich dann zwar mit Kuscheltieren und Kunstblut nachgestellt, aber ansonsten sind die meisten Bilder echt.
Beim Vorführen dieses Films ist es dann interessant zu sehen, wie emotional und geschockt einige Zuschauer*innen teils auf die Bilder reagieren. Dazu sage ich immer: die Gewalt, welche die Katzen in „Call of Cuteness“ erleben, die erfahren Menschen und Tiere jeden Tag auf dieser Welt. Aber diese Gewalt ist mehr oder weniger sichtbar und wird oft zugunsten unseres hohen Lebensstandards billigend in Kauf genommen – meistens ist sie ja auch so weit von uns entfernt, dass wir sie gar nicht mitbekommen. Sobald ich diese Gewalt aber auf den allseits geliebten Katzenkörper übertrage, überschreitet das für viele Menschen eine Grenze – und diese Doppelmoral ist interessant zu beobachten.
Der Kurzfilm wirkt wie ein Puzzle aus vielen Einzelteilen. Machst du allgemein vom Schnitt bis zum Ton alles in Eigenregie oder gibst du Aufgaben ab?
Ich mache schon viel allein, aber ich habe auch oft Hilfe – z.B. haben Julia Merkschien und Leonie Link in „Call of Comfort“ die 3D Animation gemacht. Das ist ein Bereich, in dem ich noch nie gearbeitet habe. Außerdem leben die Filme „Call of Beauty“ und „Call of Comfort” natürlich auch sehr vom Schauspiel – allein deshalb ist ein Film immer Teamarbeit.
Der letzte Teil deiner Trilogie trägt den Titel „Call of Comfort“ und dreht sich um das Thema Selbstoptimierung. Sorgt der Drang nach Perfektion jetzt dafür, dass Privatsphäre und Datenschutz für unsere Gesellschaft zweitrangig werden?
In „Call of Comfort“ wollte ich zum Ausdruck bringen, wie moderne Medien uns dazu verführen, unsere Privatsphäre aufzugeben. Wir leben im Glauben, dass Google eine kostenlose Dienstleistung ist – dabei sind wir längst Teil des Produkts, da Google unsere intimsten Daten sammelt, analysiert und verkauft. Verwehren können wir uns diesem System nur schwer, denn die Alternative wäre, überhaupt nicht mehr am modernen Leben teilnehmen zu können. Sobald eine Internetverbindung da ist, werden Daten gesammelt. Und da heutzutage fast alles mit dem Netz verbunden ist, werden die toten Winkel von Big Data stetig kleiner.
Eine Gesellschaft ohne Privatsphäre ist eine komplett neue Situation und beeinflusst ihr Denken und Handeln. Aber wo wir Menschen uns früher noch über Volkszählung aufgeregt haben, nehmen wir die Situation heute (relativ) leicht hin. Einen automatischen Update-Download zu stoppen macht nicht wirklich Sinn, denn dann kann die App meist nicht mehr genutzt werden – wenn wir dann gebeten werden, den neuen Nutzungsbedingungen zuzustimmen, fragen wir uns vielleicht einen Moment lang: Soll ich sie mir durchlesen? Aber dann ist die Zeit knapp und irgendwie wissen wir ja sowieso schon, dass wir darin unsere Seele verkaufen – also klicken wir einfach auf „Ja“. Der Vorteil, den all diese bunten Apps uns versprechen, ist zu verführerisch – Selbstoptimierung, mehr Effizienz, ein einfacheres Leben. Und genau an diesem Punkt setzt der Film an. Es hat fast etwas Religiöses, wie wir unsere privatesten Daten für eine süße Versprechung opfern.
Glaubst du, das so eine Transparenzgesellschaft funktionieren kann, oder siehst du darin eher eine Gefahr für das soziale Zusammenleben?
Ob sie es kann, ist nicht die Frage – sie muss es ja, denn die technologischen Entwicklungen werden in ihrer jetzigen Form ja nicht plötzlich vom Erdboden verschwinden. Sie haben natürlich auch sehr positive Seiten. Es ist nur wichtig, dass wir einen Weg finden, mit den neuen Entwicklungen verantwortlich umzugehen und auch in die Zukunft zu denken. Zum Beispiel: das Social Credit System, welches China momentan entwickelt, gibt uns einen dystopischen Blick für das, was möglich sein kann, wenn wir Big Data freien Lauf lassen. Denn auch wenn das System uns mit unserer eigenen Selbstoptimierung lockt, so optimiert es sich letztlich hauptsächlich selbst – und dabei sind dann die Menschen die Leidtragenden. Das ist jetzt kein Kampf von Computern gegen Menschen – denn hinter den Computern stecken ja auch wiederum Menschen. Wir müssen uns bewusst werden, was die heutige Technologie alles kann und wer Zugang dazu hat. Im Moment werden Tools zur Datensammlung und -analyse hauptsächlich an Firmen zur Marktrecherche oder an Staaten für Wahlen verkauft. Was passiert aber, wenn diese Tools an immer „kleinere“ Einheiten gelangen, d.h. wenn jemand für Geld z.B. die Nachbar*innen ausspionieren kann? Oder aktuelleres Beispiel: die Diskussion, wie viel eine Firma über ihre Angestellten wissen darf. Generell ist es, glaube ich, für viele relativ egal, wenn ein abstrakter Großkonzern (heimlich) Daten von uns sammelt – aber sobald Menschen in unserem Bekanntenkreis zu viel von uns wissen, reagieren wir empfindlicher. Und die Gefahr ist gerade, dass auch in diesem Bereich die toten Winkel immer schmaler werden. Es ist ja nicht nur technisch gesehen eine Tranzparenzgesellschaft, sondern auch kulturell – sich selbst und andere zu beobachten/überwachen – ist fest in unseren Alltag integriert. Das Wort „stalken“ hat eine neue Wertigkeit erlangt, nämlich die sozial (relativ) akzeptierte, oft notwendige Ausspionierung einer_eines Bekannten.
Unausweichlich die Frage, wie du dich selbst als Frau in der Filmwelt positionierst, aber auch positionierst wirst durch dein Umfeld. Du warst in den vergangenen Jahren auf mehreren Filmfestivals, fühltest du dich da ernstgenommen und respektiert?
Frauen* haben es nicht gut in der Filmwelt – Pro Quote Film (bei denen ich Mitglied bin) haben die Infos sehr übersichtlich auf ihrer Website dargestellt: https://proquote-film.de/#/status-quote/fakten/
Das ambivalente an der Sache ist ja, dass das Geschlechterverhältnis der Filmstudierenden eigentlich sehr ausgeglichen ist – das Potenzial ist also da – und die strukturelle Benachteiligung beginnt meist erst im Berufsalltag. Hier wird viel weibliches Talent vergeudet und unsichtbar gemacht. Insofern befinde ich mich als Filmstudentin noch nicht in der „heißen Phase“, in der mich der Sexismus hart trifft – doch teilweise befürchte ich für die Zukunft auch das Schlimmste. Ich versuche mich davon aber nicht ablenken zu lassen. Mittlerweile verdränge ich dieses Risiko und versuche stattdessen in meinen Filmproduktionen selbst die Welt ein Stück zu verbessern: mehr Frauen* und generell mehr Diversität vor und hinter der Kamera. Das ist mein Motto.
Siehst du Dinge wie eine Frauenquote in der Filmwelt als Chance, etwas an den patriarchalen Strukturen zu ändern oder glaubst du, das eine Quote eher kontraproduktiv sein könnte?
Frauenquoten halte ich für ein sehr wichtiges und nötiges Mittel, um Gleichstellung in der Realität umzusetzen. Was man dazu wissen muss: es ist eine Diskussion, die schon in den 70ern geführt wurde – damals haben Quoten-Gegner*innen argumentiert, dass sich alles von selber ausgleichen würde und die Quote nicht nötig sei. Fast vierzig Jahre später ist es evident, dass es das nicht tut und daher dieses Werkzeug dringend notwendig ist. Es gibt viele Beispiele, in denen sich eine Quote sehr positiv ausgewirkt hat – nicht nur was die Ausgeglichenheit der Führungskräfte angeht, sondern die gesamte Belegschaft und meines Wissens auch auf den Erfolg einer Firma.
Das vermeintliche Gegenargument, dass es doch um „Qualität“ gehen sollte und nicht um Geschlecht, ist eigentlich ein Pro-Quoten Argument. Denn: jetzt gerade wird zu sehr nach Geschlechtern geurteilt und eben nicht nach Qualität. Wenn aus der Uni 50% Frauen kommen, aber davon nur ca. die Hälfte diesen Beruf wirklich ausführen dürfen, bedeutet das, dass auf der weiblichen Seite nur die Besten durchkommen, auf der männlichen Seite aber auch die Mittelmäßigen gefördert werden. Eine 50/50 Frauen-Quote bringt also mehr Qualität für das Publikum! Es ist wichtig, dass hier auch intersektional gedacht wird, denn generell brauchen wir mehr Diversität – wie gesagt – vor und hinter der Kamera.
Diese Frauen-Quoten brauchen wir übrigens nicht nur bei der Filmproduktion selbst, sondern auch, wenn es um die Frage geht, welche Filme restauriert, digitalisiert und erhalten werden – ein großer Teil des weiblichen Filmerbes ist leider schon verkommen und wir müssen darauf achten, dass sich das nicht fortsetzt. Übrigens war der erste Spielfilm von einer Frau namens Alice Guy. Aber sie wurde konsequent aus der Filmgeschichte rausgeschrieben und nur wenige ihrer Filme sind erhalten geblieben. Die Tatsache, dass an Unis gelehrt wird, dass Männer die ersten Filme gemacht haben, ist ein Symptom des Sexismus, der sich durch die Filmwelt zieht – hieran sind auch Kritiker*innen und Kurator*innen beteiligt.
Arbeitest du aktuell schon an neuen Projekten oder was sind deine Pläne für kommende Zeit?Momentan arbeite ich an meinem ersten Langfilm „Zero Drag“ (AT) zum Thema Arbeitssucht, Burnout und generell dem Verhältnis von Mensch und Arbeit in einer neoliberalen Arbeitswelt. Mehr will ich aber noch nicht verraten, da ich das Drehbuch gerade erst schreibe.
Für alle, die mehr sehen wollen von Brenda:
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